Bereits im Juni dieses Jahres hat die Europäische Union eine Verpflichtung für die EU-Wirtschaftsbeteiligten eingeführt, weitere Maßnahmen zur Vermeidung der Umgehung von Exportkontrollen und Sanktionen gegen Russland und Belarus im Zusammenhang mit sog. Common High Priority Items („CHP-Items“) zu ergreifen. Damit sollen die Wirksamkeit der EU-Sanktionen verbessert und die EU-Wirtschaftsbeteiligten stärker in die Pflicht genommen werden.
Die entsprechenden Bestimmungen in Art. 12gb der Russland-Embargoverordnung (VO (EU) 833/2014) sowie Art. 8ga der Belarus-Embargoverordnung (VO (EG) 765/2006) sahen jeweils eine Übergangsfrist vor, die nun endet:
Die verpflichtenden Maßnahmen zu Vermeidung der Umgehung der Embargobestimmungen müssen ab 26. Dezember 2024 (Russland) bzw. ab 2. Januar 2025 (Belarus) umgesetzt werden.
CHP-Items im Fokus von Exportkontrolle und Sanktionen
Die Pflicht zur Ergreifung weiterer Maßnahmen zur Umgehungsvermeidung bezieht sich ausschließlich auf CHP-Items. CHP-Items (in den deutschen Sprachfassungen der EU-Embargoverordnungen übersetzt als „Güter von gemeinsamer hoher Priorität“ bzw. „gemeinsame vorrangige Güter“) sind für die Entwicklung, Herstellung oder Verwendung von russischen Militärsystemen von großer Bedeutung und wurden bereits auf dem Schlachtfeld in der Ukraine gefunden.
Die von EU, Japan, UK und USA gemeinsam entwickelte CHP-Liste findet sich in den jeweiligen EU-Embargoverordnungen als Anhang XL (VO (EU) 833/2014) und Anhang XXX (VO (EG) 756/2006). Sie enthält derzeit 50 Positionen, zu identifizieren durch 6-stellige HS-Codes, aus verschiedenen Bereichen:
- Integrierte Schaltkreise,
- Elektronikartikel für die drahtlose Kommunikation,
- elektronische Komponenten, Navigationsgeräte und digitale Kameras,
- mechanische Komponenten, wie z.B. Lager, und optische Komponenten,
- Anlagen zur Herstellung und Qualitätsprüfung von elektrischen Bauteilen und Schaltkreisen,
- CNC-Werkzeugmaschinen zur Herstellung komplexer, hochpräziser Metallteile.
Verpflichtende Maßnahmen zur Vermeidung der Umgehung von Exportkontrolle und Sanktionen
Art. 12gb der VO (EU) Nr. 833/2014 und Art. 8ga der VO (EG) 765/2006 legen Maßnahmen zur Vermeidung von Umgehungen der EU-Embargos gegen Russland und Belarus fest, die nunmehr ab 26. Dezember 2024 (Russland) bzw. 2. Januar 2025 (Belarus) verpflichtend umzusetzen sind.
Die Maßnahmen zur Umgehungsvermeidung sind für EU-Wirtschaftsbeteiligte Pflicht, wenn diese selbst oder ihre drittländischen Tochterunternehmen CHP Items in Drittländer (mit Ausnahme der Partnerländer Australien, Island, Japan, Kanada, Liechtenstein, Neuseeland, Norwegen, Schweiz, Südkorea, UK, USA) verkaufen, liefern, verbringen oder ausführen. Diese Vorgaben lehnen sich eng an die Sorgfaltspflichten in der klassischen Exportkontrolle an:
Sie umfassen zum einen die dokumentierte Ermittlung und Bewertung der Risiken einer Ausfuhr der CHP Items nach oder zur Verwendung in Russland bzw. Belarus (Risikoanalyse). Zum anderen verlangen sie den Einsatz geeigneter und angemessener Strategien, Kontrollen und Verfahren zur Minderung und zum wirksamen Management dieser Risiken (Risikominimierung).
Guidance zu verbesserter Exportkontroll- und Sanktions-Compliance
Eine wertvolle Hilfestellung für die betroffenen EU-Wirtschaftsbeteiligten bei der Umsetzung der verpflichtenden Maßnahmen zur Exportkontroll- und Sanktions-Compliance gibt die sog. „G7 Industry Guidance“ vom 24. September 2024 (“Preventing Russian Export Control and Sanctions Evasion: Updated Guidance for Industry”). Sie enthält neben einer Erläuterung zu den CHP-Items eine Auflistung von Indikatoren für „Red Flags“, eine Darstellung von „Best Practices“ und diverse Links zu weiterer Guidance auf internationaler und nationaler Ebene.
Deutsche Wirtschaftsbeteiligte können ergänzend auf zwei Hinweispapiere des BMWK vom 1. Oktober 2024 zurückgreifen:
- „Hinweispapier zur Unterstützung der Unternehmen beim Umgang mit warenverkehrsbezogenen Sanktionen“
- „Sanktionsumgehung – Hinweis: Kriegsrelevante Güter gelangen vermehrt von ausländischen Tochtergesellschaften von EU-Unternehmen nach Russland“
Diese enthalten neben Hinweisen zu sanktionsbezogenen Sorgfaltspflichten und sanktionsrechtlicher Relevanz von Handlungen ausländischer Tochtergesellschaften eine beispielhafte Aufzählung von kunden-, produkt- und transaktionsbezogenen sowie geografischen Risikoindikatoren. Die Hinweispapiere des BMWK sind aber nicht als konkrete Guidance zu den verpflichtenden Maßnahmen zur Umgehungsvermeidung nach Art. 12gb der VO (EU) Nr. 833/2014 und Art. 8ga der VO (EG) 765/2006 (Belarus) zu verstehen, sondern sollen den Wirtschaftsbeteiligten unverbindliche und nicht abschließende Unterstützung bei Konzipierung und Umsetzung ihrer unternehmensindividuellen Exportkontroll- und Sanktions-Compliance bieten.
Zwar existiert in Deutschland bisher keine Straf- oder Bußgeldnorm für Verstöße gegen Art. 12gb der VO (EU) Nr. 833/2014 bzw. Art. 8ga der VO (EG) 765/2006 (Belarus) wegen fehlender Umsetzung der dort vorgesehenen Maßnahmen. Jedoch werden durch deren verpflichtende Vorgaben nunmehr der anzulegende Sorgfaltsmaßstab und somit die daraus resultierenden Handlungspflichten der EU-Wirtschaftsbeteiligten im Zusammenhang mit CHP Items konkretisiert. Zumindest der Vorwurf der Fahrlässigkeit wird sich künftig bei vorgeworfenen Verstößen gegen die Beschränkungen der EU-Sanktionen kaum entkräften lassen, wenn der gesetzlich vorgegebene Sorgfaltsmaßstab zur Umgehungsvermeidung nicht erreicht wurde und die verpflichtend vorgesehenen Maßnahmen nicht ergriffen wurden.
No-Russia-Clause und No-Belarus-Clause: Ergänzung der BMWK-FAQs und No-Russia-Clause bei IP-Rechten in Kürze verpflichtend
Die bereits im Dezember 2023 eingeführte Verpflichtung zur Aufnahme einer No-Russia-Clause (Art. 12g der VO (EU) Nr. 833/2014) in bestimmte Verträge wurde im Juni 2024 durch die Verpflichtung zur Aufnahme einer No-Belarus-Clause (Art. 8g der VO (EG) 765/2006) ergänzt.
Die EU-Wirtschaftsbeteiligten müssen danach insbesondere bei Geschäften mit CHP-Items (sowie außerdem bei Geschäften mit Gütern, die in bestimmten weiteren Anhängen der jeweiligen EU-Embargoverordnung aufgeführt sind), ihren Geschäftspartnern in Drittländern deren Wiederausfuhr nach oder zur Verwendung in Russland bzw. Belarus vertraglich untersagen und dies mit angemessenen Abhilfemaßnahmen absichern. Ausnahmen bestehen für Geschäfte mit Geschäftspartnern in den Partnerländern Australien, Island, Japan, Kanada, Liechtenstein, Neuseeland, Norwegen, Schweiz, Südkorea, UK, USA. Außerdem für bestimmte Altverträge, für öffentliche Verträge mit Behörden oder internationalen Organisationen (dann aber Unterrichtungspflicht), sowie für Geschäfte mit CNC-Werkzeugmaschinen.
Das BMWK hat am 29. November 2024 erstmals seit vielen Monaten die FAQs zum EU-Russlandembargo („Fragen und Antworten zu Russland-Sanktionen“) ergänzt und die Fragen 65 ff. zu No-Russia-Clause und No-Belarus-Clause neu aufgenommen.
Hervorzuheben ist im Kontext der Umgehungsvermeidung insbesondere die Aussage des BMWK zu Frage 69:
- Frage: „Ist die Aufnahme der No-Russia-Clause in meinen Vertrag bereits ausreichend, um meine sanktionsrechtlichen Sorgfaltspflichten zu erfüllen?“
- Antwort: „Nein, die sanktionsrechtliche Compliance ist unternehmens- und produktspezifisch entsprechend aller Sanktionsverpflichtungen zu evaluieren und in die entsprechenden Prozesse aufzunehmen (siehe dazu BMWK Hinweispapier zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten). Für besonders kritische Güter, die in Anhang XL der VO (EU) Nr. 833/2014 aufgeführt sind und häufig auch als Common High Priority Goods bezeichnet werden, sind darüber hinaus erhöhte Sorgfaltspflichten (siehe Art. 12gb VO (EU) Nr. 833/2014) vorgesehen.“
Auch wenn ausschließlich die Russland-Embargoverordnung erwähnt wird, bezieht sich diese Aussage gleichermaßen auf die in den relevanten Bereichen inhaltsgleiche Belarus-Embargoverordnung.
Der im Juni 2024 neu eingeführte Art. 12ga der Russland-Embargoverordnung (VO (EU) Nr. 833/2014) verpflichtet die EU-Wirtschaftsbeteiligten zudem ergänzend, ab dem 26. Dezember 2024 u.a. bei der Übertragung von Rechten des geistigen Eigentums oder Geschäftsgeheimnissen ihren Partnern aus Drittländern vertraglich die Nutzung solcher Rechte und Informationen im Zusammenhang mit CHP Items zur Ausfuhr nach Russland oder zur Verwendung in Russland zu verbieten und die Partner zur Weitergabe dieses Verbotes zu verpflichten.
Eine Straf- oder Bußgeldnorm für den Verstoß gegen die Verpflichtung zur Aufnahme einer No-Russia-Clause bzw. einer No-Belarus-Clause existiert bis dato in Deutschland nicht. Jedoch bewirken Art. 12g und künftig auch Art. 12ga der VO (EU) Nr. 833/2014 sowie Art. 8g der VO (EG) 765/2006, dass im Fall von tatbestandlich erfassten Wiederausfuhren drittländischer Vertragspartner nach oder zur Verwendung in Russland bzw. Belarus, die nach der jeweiligen EU-Embargoverordnung aus der EU heraus verboten wären, eine Verfolgung als Straftat oder Ordnungswidrigkeit wegen eines eigenen Verstoßes der deutschen Muttergesellschaft gegen ein mittelbares Verbot mit dem Argument der Verletzung der Pflicht aus Art. 12g bzw. Art. 12ga der VO (EU) Nr. 833/2014 bzw. Art. 8g der VO (EG) 765/2006 wesentlich erleichtert wird, weil die gesetzlich vorgegebene Mindestmaßnahme zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht nicht ergriffen wurde.
Fazit: Jetzt handeln, um sich nicht angreifbar zu machen und Konsequenzen zu vermeiden
Übergangsfristen in gesetzlichen Bestimmungen aus dem Bereich Exportkontrolle und Sanktionen sind tückisch: Es besteht immer das Risiko, den Zeitpunkt der „Scharfschaltung“ aus den Augen zu verlieren. Dies zeigt die Relevanz einer vorausschauenden Exportkontroll- und Sanktions-Compliance, um rechtliche und wirtschaftliche Risiken zu minimieren.
Die Erhöhung der Wirksamkeit der EU-Sanktionen gegen Russland und Belarus durch konsequente Umsetzung der Regelungen zur Umgehungsvermeidung ist erklärtes oberstes Ziel der politischen Entscheidungsträger in der EU und vieler Mitgliedsstaaten. Dementsprechend werden die zuständigen nationalen und EU-Behörden aus den Bereichen Zoll, Exportkontrolle und Sanktionen ein engmaschiges Kontrollnetz auswerfen, um die Nichteinhaltung dieser Vorgaben durch verpflichtete Wirtschaftsbeteiligte aufzudecken und ggf. zu verfolgen. Insbesondere wenn für CHP-Items im Einzelfall festgestellt werden sollte, dass diese nach Russland bzw. Belarus gelangt sind, weil – zumindest mitursächlich – die exportkontroll- und sanktionsrechtlichen Sorgfaltspflichten durch einen EU-Wirtschaftsbeteiligten nicht eingehalten und umgesetzt wurden, dürfte ein hoher Verfolgungs- und Sanktionierungseifer seitens der Ermittlungsbehörden bestehen.
Alle Unternehmen mit CHP-Items im eigenen Portfolio bzw. im Portfolio ihrer Tochterunternehmen sollten nun dringend das Risiko einer Involvierung in die Umgehung der EU-Sanktionen gegen Russland und Belarus sowohl für sich selbst als auch für ihre drittländischen Tochtergesellschaften analysieren, ausgehend vom Ergebnis dieser Analyse die notwendigen Vermeidungsmaßnahmen ergreifen und diese im innerbetrieblichen Exportkontrollsystem verankern. Die Risikoanalyse muss mit Blick auf die relevanten Risikoindikatoren (kunden-, produkt-, transaktionsbezogen) erfolgen, die CHP-Items lösen dabei per se erhöhte Sorgfaltspflichten aus. Die Vermeidungsmaßnahmen zur Risikominimierung müssen definiert, dokumentiert, umgesetzt und nachgehalten werden.Vischer Voss hilft Ihnen gerne bei Risikoanalyse und ggf. Risikominimierung durch Implementierung der notwendigen Maßnahmen, um ihre unternehmensindividuelle Exportkontroll- und Sanktions-Compliance sicherzustellen und so unangenehme Ermittlungen und ggf. Konsequenzen bestmöglich zu vermeiden.